Jeju Loveland – ein skuriller Aufklärungsversuch

Bevor wir nach Südkorea aufbrachen, haben wir uns natürlich sehr intensiv damit auseinandergesetzt, was man sich wo ansehen soll, kann oder muss. Fast alle Reise-Vlogs und Reise-Blogs berichteten von einer Attraktion auf der Insel Jeju, die man gesehen haben muss. Alle erwähnten aber auch, dass es die Skurrilität ist, die es zu einem Must-Do macht. Die Rede ist von „Jeju Loveland“.
 
Also machten auch wir uns auf den Weg, um diesen „Liebespark“ zu besuchen. Am Stadtrand von Jeju-si liegend, ist er sehr rasch und einfach zu erreichen. Als wir dort eintrafen, war sofort zu erkennen, dass das heute kein Gedränge werden wird. Bestenfalls fünf andere PKWs parkten auf dem Parkplatz vor dem Gelände. Wir besorgten uns die nicht gerade günstigen Eintrittskarten und gingen das Abenteuer an.
 
Was wir nun zu Gesicht bekamen war klar und offensichtlich, aber schwer einzuordnen oder zu interpretieren. 
Die Anlage sieht ein wenig dem Donaupark oder dem Kurpark Oberlaa in Wien ähnlich. Nur seeehr viel kleiner. Zu seiner Eröffnung vor fast 15 Jahren, sah dieser Park auch sicherlich sehr gepflegt und modern aus. Es ist aber sehr deutlich zu sehen, dass der Zahn der Zeit und die eher heftige Witterung der Insel Jeju an allen Gegenständen und Arrangements ihre Spuren hinterlassen hat. Es sieht alles schon merklich verwittert aus, Mörtel beginnt abzubröckel, Lack abzublättern und viele Teile sind schon kaputt oder gänzlich verschwunden. Und überall Verwitterung, Rost, Moos, Flechten und dergleichen.
An einer Stelle gab es sogar einen kleinen Fotobericht von einer zerstörten Skulptur, die von einem ausgesprochen heftigen Sturm, der über die Insel fegte, umgelegt und zerstört wurde.
Hinzu kam noch, dass wir uns scheinbar bereits in der Nachsaison befinden. Das schlossen wir nicht nur aus der sehr spärlichen Anzahl an Besuchern, sondern auch weil alle der zahlreichen Wasserspiele, Brunnen, und Teiche bereits abgedreht bzw. ausgelassen waren.
Insgesamt erinnerte uns diese Parkanlage ein wenig an den „National Landmark Garden“ den wir uns voriges Jahr in Nay Pyi Daw besuchten. Gar nicht von den ausgestellten Exponaten, sondern vom Verwitterungszustand.
 
Ja und was gibt es eigentlich zu sehen? Der gesamt Park ist mit über 100 Skulpturen vollgestellt. Alle in eindeutigen, sexuellen Stellungen. Alles an einer diffusen Grenze zwischen Kunst und Aufklärung.
 
Für Kunst spricht, dass alle Figuren/Skulpturen sehr ausgeprägt geformt sind. Muskulöse Körper. Große Brüste. Primäre Geschlechtsteile sind nur bei alleinstehenden Skulpturen zu sehen, niemals bei Pärchen, dann aber auch wieder ziemlich groß. Gänzlich unasiatische Figuren, auch wenn die Gesichter leicht asiatische Züge verpasst bekamen. Zumindest haben wir in den vergangen Wochen keine solchen Männer oder Frauen zu Gesicht bekommen. Und alle Posen sind sehr extrem, sehr ekstatisch, stark überzeichnet und ziemlich unnatürlich. Die meisten Stellungen sind von eher akrobatischer Natur und haben nur wenig mit realem Sex zu tun. Und alle Skulpturen sind mit einem Täfelchen versehen, welches mit einem locker-flockigen Statement wie „Open for business“ oder „I am on fire“ die Stellung oder Situation beschreiben soll.
 
Für Aufklärung spricht, dass keine der Skulpturen bzw. das was sie darstellten ausreichend abartig, obszön oder pervers war, dass es zu einem echten Aufreger gereichen würde. Dafür waren sie doch wieder zu harmlos. Zumindest in unseren mitteleuropäischen Augen. Andererseits haben wir keine wirkliche Ahnung wie Sexualität und Aufklärung in Südkorea gelebt wird.
Auch die Erörterung die wir auf Wikipedia zum „Jeju Loveland“ gefunden haben, passt irgendwie sehr gut zu dem was wir gesehen haben.
„Nach dem Ende des Koreakrieges wurde die Insel Jeju zu einem beliebten Ziel für die Flitterwochen. Da in Korea Sex vor der Ehe vor allem für Frauen noch tabu ist, lernen sich die Frischvermählten erst während der Flitterwochen näher kennen. Daher gibt es auf der Insel eine Vielzahl von Einrichtungen, die der sexuellen Aufklärung gewidmet sind. 2002 begannen Absolventen der Seouler Hongik University Skulpturen für den Park zu schaffen, der am 16. November 2004 eröffnet wurde.“ 
 
Zwischen all diesen Skulpturen gab es noch eine Vielzahl an Brunnen und Teichen und Erhebungen, die ebenso nur ein Thema inne hatten. Sie waren entweder wie Penisse oder wie Vulven oder wie Brüste oder wie Pobacken geformt. Und dazwischen floss oder spritzte Wasser in natürlicher oder auch unnatürlicher Art und Weise. Das sahen wir zwar nicht, weil die Brunnen wie gesagt bereits abgedreht waren, aber wir haben im Internet ja unzählige Bild- und Filmdokumente gesehen.
Wir spazierten durch zwei riesige Hügel aus Beton, die wohl Schamlippen darstellen sollten, die eine skurrile Ausstellung von Penissen aus Stein, Holz, Glas und anderem beherbergt. Wir standen neben drei Betonhügeln, zwei eher runden und einem langgestrecktem mit einer Einkerbung an einem Ende, aus der wohl eine Fontäne spritzen sollte. Aus grösserer Entfernung war dieses Gebilde als Penis und zwei Hoden erkennbar, welcher sich in ein schlangenförmiges Becken ergoß.
Wir wanderten durch eine Halle mit vielen Dioramen, die alle möglichen und großteils unmöglichen anrüchigen Situationen mit aus Plastilin geformten Figuren darstellten.
In einer Ecke stand ein alter PKW der mittels Elektromotor und Mechanik rhythmisch geschüttelt wurde und aus dem Stöhngeräusche zu hören waren.
Es gab auch einen quasi Sexshop, in dem die jungen Koreaner gleich etwas „zum selber Basteln“ für zu Hause kaufen konnten. Alles Dinge, die es auch in österreichischen Sexshops zu erstehen gibt. Echt gar nichts „Arges“ Ausgefallenes. Und eine Verkaufsdame hat auch gleich versucht uns einige Gegenstände, eher die infantil witzigen, zu erklären und uns zum Kauf zu animieren. 
 
Mir kommt es so vor als hätten, die Künstler die all diese Skulpturen erschaffen haben, eine Gradwanderung zwischen der höchstmöglichen Verwegenheit und der staatlichen Zensur vollbringen müssen. Als ob sie die Skulpturen deswegen auch so übertrieben hätten um im Falle, dass es der staatlichen Aufsicht doch „zu arg“ wäre, mit „das ist Kunst, keine Pornografie“ argumentieren zu können.
 
Vielleicht wird dieses „Loveland“ aus folgendem Blickwinkel verständlicher.
Recherchen im Internet zum Thema Zensur ergaben für mich folgendes Bild.
In Südkorea herrscht eine massive staatliche Zensur. Zig Tausend Websites aus dem Ausland werden blockiert. Und ebensoviele inländische Seiten werden Jahr für Jahr gelöscht. Die Hauptgründe dafür sind politische, also regierungsfeindliche Sites und pro-nordkoreanische Sites, sowie moralische, also alles was mit Pornografie, auch in ihren sanftesten Ausprägungen zu tun hat.
In Südkorea ist die Herstellung und der Verkauf von Pornografie verboten. Gänzlich. Egal ob im Internet oder anderwärtig.
Mir ist vor unserer Reise einmal eine koreanische Ausgabe des Playboys – ja, das gibt es wirklich – untergekommen. Im Vergleich zu den durchwegs hübschen Mädchen dieses Playboys, ist das Mädchen auf Seite 5 der Kronen-Zeitung wildeste Pornografie. Wobei, ich weiß gar nicht ob es die überhaupt noch gibt.
Ebenso gibt es in Südkorea keine legale Form der Prostitution. Was nicht heißt, dass es sie gar nicht gibt, aber sie wird schwer bestraft.
Woher könnten junge Menschen also Information über sexuelle Aufklärung beziehen? Von ihren Eltern? Von ihren erwachsenen Geschwistern oder Freunden? Dazu sind Koreaner angeblich viel zu prüde. In der Schule? Angeblich gibt es Lehrer die den Sexualunterricht verweigern. Aus Fachbüchern? Kann ich mir nicht vorstellen.
Na dann, ab ins Jeju Loveland. Hoffentlich sind sie dann nicht enttäuscht, wenn sie feststellen, dass ihre Partner weder so groß und muskulös sind, noch über so große (Geschlechts-)Teile verfügen.
 
Skurril und gleichzeitig witzig war, dass dieser Park am Ende gar nicht von vielen jungen Leuten besucht zu sein scheint. Am häufigsten begegneten wir kleinen Grüppchen nicht mehr ganz junger Damen die laut und lachend durch den Park zogen.
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2 Gedanken zu „Jeju Loveland – ein skuriller Aufklärungsversuch

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